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Abb. 1: Kunsthalle Bern, Cathrine Bärtschi 01.05.2025

Kakao, Kunst und kollektives Gedächtnis

Kakao, Kunst und kollektives Gedächtnis

Kunsthalle Bern

Ein Text von Cathrine Bärtschi

Seit dem 30. April 2025 ist die Kunsthalle Bern verhüllt. Darauf wurde ich zwei Tage später aufmerksam, als ich einen Beitrag dazu in den sozialen Medien las. Spontan beschliesse ich, selbst vorbeizugehen. Es ist einer der wärmsten Tage des Frühjahres. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau. Schon aus dem Tramfenster heraus sehe ich die Installation von Ibrahim Mahama am Helvetiaplatz. Ich steige aus und schaue hoch. Die Kunsthalle ist eingehüllt in grobe, abgenutzte Jutesäcke. Ich beobachte die anderen Menschen, die beim Vorbeigehen hochschauen wie auch ich. Zwei Jugendliche gehen an mir vorbei. Der eine sagt zum anderen: «Ich find’s super, dass man auf so etwas aufmerksam gemacht wird.» Ich scanne den QR-Code auf einem der Plakat-Ständer, die vor dem Gebäude stehen und mache mich mit dem Audio-Guide auf den Weg rund um das Gebäude. Ein paar Tage später, am 6. Mai, kehre ich zurück. Diesmal nehme ich am Rundgang «WALK AND TALK» mit Iliana Fokianaki teil. Es ist ein grauer, kühler Tag. Die Installation erscheint mir anders, ruhiger und schwerer als bei der ersten Begegnung. Wir sind etwa zwanzig Teilnehmende, vorwiegend ältere, weiblich gelesene Personen. Bevor es losgeht, trinken wir eine Tasse heissen Kakao zusammen.

Die Kunsthalle Bern präsentiert mit der Verhüllung von Ibrahim Mahama seine erste Einzelausstellung in der Schweiz. Mahama setzt sich in seiner künstlerischen Praxis mit globalen Ungleichheiten, kolonialen Spuren und materieller Geschichte auseinander. Die Arbeit greift die historische Verhüllung des Gebäudes durch Christo & Jeanne-Claude von 1968 auf und reflektiert deren kulturelle Bedeutung im kollektiven Gedächtnis. Zugleich formuliert Mahama eine kritische Auseinandersetzung mit der eurozentrischen Ausrichtung der Institution und ihrer Rolle in der westlich geprägten Kunstgeschichte.1 Die Installation wirkt roh und gleichzeitig durchdacht. 

Die Kunsthalle Bern ist nicht vollständig verhüllt. Einzelne architektonische Details wie das Dach, und Teile der Reliefs an der Fassade bleiben sichtbar. Mahama verzichtet auf flächendeckende Verhüllung.2 Die Verhüllung besteht aus gebrauchten Jutesäcken, die ursprünglich in Indien und Bangladesch hergestellt wurden. Die Jutesäcke sind geflickt, vernäht, manche tragen Schriftzüge, andere sind mit Metallplättchen versehen. Sie sind ein sichtbares Zeugnis der globalen Handelswege und tragen die Spuren der Hände und Menschen, die sie benutzten. Die Metallplättchen dienten als Qualitätssigel für den Kakao und sind nun an verschiedenen Stellen gesammelt an den Säcken befestigt.3Die Säcke wurden von Frauen in Tamale, Ghana zusammengenäht, deren Namen und Signaturen sind die Schriftzüge auf den Säcken.4 Mahama verweist mit seiner Arbeit auf eine oft verdrängte Realität. Der Kakao reist ungehindert über Grenzen, doch jene, die ihn ernten, können es oft nicht. Viele der Menschen haben nie Schokolade probiert.5 Die Pflanze selbst ist importiert, hat Monokulturen geschaffen und Landschaften verändert. Die Jutesäcke machen diese Widersprüche sichtbar, ohne sie auszustellen. 

Bei meinem Besuch mit Iliana Fokianaki wirkt das Werk ruhiger, ernster als beim ersten Mal. Vielleicht liegt das am Wetter. Vielleicht aber auch daran, dass die Kakao-Tasse in der Hand nicht nur wärmt, sondern deutlich macht, dass die Verhüllung nicht nur eine gut gelungene Hommage an Christo & Jeanne-Claudes Verhüllung ist, sondern ein Geflecht aus kolonialer Geschichte, Gegenwart und globaler Ungerechtigkeit.

Abb. 2: Cathrine Bärtschi 06.05.2025          
Abb. 3: Cathrine Bärtschi 06.05.2025

1 Webseite, Kunsthalle Bern; https://kunsthalle-bern.ch/de/Exhibitions/2025-Ibrahim-Mahama (Aufgerufen am 08:05.2025)
2 Erzählungen Iliana Fokianak, Führung: «WALK AND TALK» 06.05.2025
3 Erzählungen Iliana Fokianak, Führung: «WALK AND TALK» 06.05.2025
Erzählungen Iliana Fokianak, Führung: «WALK AND TALK» 06.05.2025 
Erzählungen Iliana Fokianak, Führung: «WALK AND TALK» 06.05.2025

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