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Geschichten machen Dinge

Geschichten machen Dinge

Ein Text von Ashley Zweidler

Es ist ein sonderbares Gefühl, sich in einer Ausstellung gesehen zu fühlen. Als wir die Ausstellung «Home Is a Foreign Place» von Sandra Knecht betraten, hat es mich unerwartet erwischt. Auf den ersten Blick war es schwierig, den Sinn und Zusammenhang hinter den vielfältigen Exponaten zu erkennen: Im ersten Raum ein Regal mit Eingemachtem, Mumien, Kinderzeichnungen, selbergemachte Langhanteln aus Reifen und Zement. Im zweiten Raum Fotografien, ein Bienenhaus, ein Baumstamm aus Bronze, eine Sofaecke mit Plattenspieler und Musikanlage. Doch sobald Sandra zu erzählen begann, sah ich, wie sich alles langsam zusammenflocht.

Es ist bemerkenswert, was mit einem Objekt passiert, wenn wir die Geschichte davon kennen. Ein leeres Hühnerei ist bloß ein leeres Ei, wenn wir seine Geschichte nicht kennen. Es ist nichts, was es würdig ist, ausgestellt zu werden. Doch wenn wir wissen, dass in diesem leeren Ei mal ein Küken war, das jemandem etwas bedeutet hat, das mit Müh und Not ausgebrütet wurde und vom Inneren des Eis’ heraus mit leisem Piepen geantwortet hat, als man mit ihm sprach, dann ist dieses leere Ei einzigartig und erinnert uns an die Schönheit von kleinen Beziehungen. 

Sandras Worte zeigten mir die Ausstellung, wie ich sie sonst nie gesehen hätte. Ich hätte sie nicht einmal so gesehen, wenn neben jedem Objekt ein Text dazu gestanden hätte. Nie werden wir Kunst in ihrer Gänze sehen, wenn wir ihre Geschichte nicht kennen. Und dazu gehören die Erlebnisse und Gefühle der Künstler:in. Sandra Knecht erzählte ihre Geschichte. Sie erzählte von ihrem Leben und vom Leben ihrer Umgebung. Sie erzählte, was davon verging und was am Schluss noch blieb. Sie erzählte, wo sie Bedeutung suchte und wo sie sie fand. Sie erzählte auch von sich und davon, wie die Welt sie sieht. Wie Gesellschaft und System entscheiden, wem Kultur und Heimat zusteht und wem nicht. Und sie erzählte von dem Kampf, sich diese Dinge wieder anzueignen. Ich fühlte mich dabei nicht gesehen, weil ich das Gleiche erlebt habe oder dieselbe Realität habe wie sie, sondern weil ich auf meine eigene Art und Weise diese Kämpfe auch führe. Weil Queersein meinen Platz in der Gesellschaft und die Relevanz meiner Geschichten infrage stellt. Weil ich in der Schweizer Kultur nur eklige, konservative, weisse Männer sehe und ihr deshalb den Rücken zugewandt habe. Weil ich mir mein Zuhause schon immer selbst bauen musste. Und weil mir eine alte Butch in die Augen schaut und mir davon erzählt.

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