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ZWISCHEN TRAGÖDIE UND TRADITION?

ZWISCHEN TRAGÖDIE UND TRADITION?

EIN EINBLICK IN EINE AUSSERGEWÖHLICHE KOEXISTENZ

Ein Text von Meta Rüegg

Statt der Tram bringt mich ausnahmsweise das Postauto zum Museum. Umgeben von Bergen, in St. Antöninen befindet sich das «Haus der Lawinen». Frühzeitig angekommen, erkunde ich das Dorf. Die markante Bauweise zum Schutz vor Schneemassen fasziniert mich. Die Bewohnenden leben hier seit Jahrhunderten mit den Lawinen und ich bin gespannt auf die Geschichten rund um das für mich aussergewöhnliche Zusammenleben.

Als ich das Museum betrete, werde ich herzlich von Janns Worten „Ah, bisch du dia vu Basel?“ begrüßt und direkt in den, an den Eingang angeschlossenen Kinosaal geführt. Bald darauf trifft auch die erwartete Senior:innen Gruppe aus dem Nachbardorf ein, und die Vorführung beginnt.

In vier Kurzfilmen wird das Zusammenleben mit der Naturgewalt beleuchtet. Fotografien und Zeitzeug:innenberichte erzählen vom Lawinenunglück im Jahr 1951. Die persönlichen Erzählungen und bildhaften Beschreibungen der Überlebenden berühren. Die Protagonist:innen sprechen Dialekt, und ohne die Untertitel hätte ich wohl nur die Hälfte verstanden. Diese Kurzfilme beleuchten relevante Aspekte wie die Entwicklung der Schutzmassnahmen, oder porträtieren Bewohnende die von unterschiedlichen Erlebnissen bis in die heutige Zeit erzählen.

Nach der Vorführung werden wir in das nachgebaute Wohnzimmer einer stark betroffenen Familie geführt. Die Erinnerungen der damals neunjährigen Tochter aus dem Film werden lebendig, und plötzlich dröhnt ein Rauschen durch den Raum. Das Licht beginnt zu flackern, und Jann, schmunzelt stolz. Fast genauso hätte sich die Szene in den 1950er Jahren abgespielt. Nur hatte damals die Familie schon zwei Tage zuvor keinen Strom und der rettende Ofen hätte wohl auch ganz anders ausgesehen. Ein langes Gespräch über die heutige Koexistenz beginnt, während die Zeit unaufhaltsam voranschreitet und wir die angrenzende Ausstellung im Schnelldurchlauf erkunden.

Die Ausstellungsräume befinden sich im benachbarten, renovierten Gewölbekeller und erzählen dasselbe wie die Kurzfilme. Im Flur hängen vergrösserte Fotografien des Unglücks. Aussagen von Überlebenden sind auf einzelnen Platten, die von der Decke hängen, zusammengefasst. Ein Zeitstrahl mit Bildern und Zitaten ist auf Originalteilen unterschiedlicher Lawinenverbauungen angebracht.

Den Abschluss bildet ein improvisiertes 4D-Kino, das sich in einem alten Kühlraum befindet. Mit einer VR-Brille auf dem Kopf finde ich mich plötzlich mitten in einer Staublawine wieder. Neben dem Rauschen der Kopfhörer höre ich Jann, den Museumsinitianten, der fragt, ob ich bereits von der Lawine erfasst wurde. Auf mein „Ja“ hin spritzt er mir kaltes Wasser in den Nacken. Ich erinnere mich an die Worte zu Beginn, dass es nicht im Sinne des Museums ist, aus einer Tragödie ein Spektakel zu machen oder sie als Tourismusattraktion zu nutzen. Nachdem ich mich quasi aus der Staublawine befreie, hinterfrage ich die Idee des 4D Kinos. Was ist der Anreiz, dieses tragische Ereignis, das jährlich mehrere Leben kostet, selbst nachzuempfinden? Oder wird die Lawine verharmlost, als Ausdruck der Gewohnheit?

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