Wenn mich die Ausstellung verfolgt
Wenn mich die Ausstellung verfolgt
Museum für Kommunikation, SUPER – Die zweite Schöpfung, Bern (6. November 2020 – 10. Juli 2022)
Ein Text von Evelyn Stohler
«Dabei begegnest du auch einem Gärtner oder einer Gärtnerin bei ihrer Arbeit.» Das ist der letzte Satz auf der Infotafel rechts neben dem Eingang zur Ausstellung SUPER – Die zweite Schöpfung. Ok, interessant. Das war alles, was ich dachte. Und vielleicht habe ich mich noch kurz gefragt, was denn dieser Gärtner oder diese Gärtnerin in einer Ausstellung über künstliche Intelligenz, Biotechnologie und Digitalisierung zu suchen haben. Aha, alles klar. Ich befinde mich in einem künstlichen Garten Eden, oder eher Irrgarten Eden. Bäume, Hecken und Büsche aus bedrucktem Blumenstoff säumen und überwuchern die Ausstellung. Und in diesem Garten wachsen die Geräte, Maschinen und Erfindungen der heutigen Zeit oder der Zukunft. In jeder Abteilung, oder besser gesagt Beet, darf ich als Besucherin verschiedene Knöpfe betätigen, mit der Freundin der Zukunft, wie Siri und Alexa plaudern, oder mit einer Puppe auf der Parkbank reden. Doch wo die Gärtner*innen arbeiten, sehe ich nicht. Keine Schubkarre, kein Gartenhäuschen, nichts.
Im zweiten Raum stehen zwei kleine Gewächshäuser. Ich steh gerade in einem Gewächshaus und studiere die 3D-Silikondrucke von Innereien, als mich plötzlich jemand anspricht. Seltsam. Ist das ein verwirrter Besucher? Und dann die Erleuchtung: Beige Schürze, Chemieröhrchen in der Tasche, das muss der Gärtner sein. Ich werde gefragt, ob ich eine Boosterimpfung machen möchte. Meine Gedanken drehen sich blitzschnell im Kreis. Ich bin doch schon geboostert und warum dürfen die das hier machen? Aber es ist nicht irgendein Booster. Ich darf wählen zwischen «immer guter Laune», «innerer Ruhe» oder «nie mehr müde». Na, das kann ich natürlich gebrauchen und lasse mir innere Ruhe «spritzen». Nun lässt sich die Gärtnerin blicken und bietet mir farbige Pillen an, die ich dankend ablehne. Langsam wird es mir zu viel und ich versuche den beiden zu entkommen. Irgendwie schaffe ich das nicht so richtig, denn schon ein paar Meter weiter werde ich gefragt, ob ich Nebenwirkungen spüre. Nein, natürlich nicht. Dann wird mir ein Formular zugesteckt, mit dem ich ein Designer-Baby bestellen kann. Dann wird mir eine zweite Booster Impfung empfohlen. Plötzlich habe ich das Gefühl, dass ich die Flucht nach vorne antreten möchte. Ich will selbst entscheiden, wann ich mit der Ausstellung interagieren möchte und wann nicht. Ich bin Schweizerin, introvertiert und vielleicht ein bisschen verknorzt. Ich spreche nicht mit fremden Leuten.
Was in den restlichen Räumen der Ausstellung ist? Keine Ahnung, denn die Flucht ist mir gelungen.
22. April 2022