Sehen & gesehen werden
Sehen & gesehen werden
Symbiotic Seeing – Olafur Eliasson 17. Januar – 22. März 2020, Kunsthaus Zürich
Ein Text von Umaj Barth
Meine Hand schiebt einen schweren Vorhang zur Seite und ich betrete die Ausstellung mit gespannter Stimmung. Umgeben von Dunkelheit finde ich mich in einem Raum wieder und werde wie ein Insekt von sanften Lichtspielen angezogen. Ich analysiere die Besuchenden, die mit mir durch die Ausstellung gehen, beobachte die Wirkung, welche die Besuchenden aufeinander haben und wie sich die Lichtstimmung auf uns auswirkt.
In den ersten drei Räumen werden wir von Dunkelheit empfangen und nur mit künstlichem Licht gefüttert. Die Inszenierung des Lichts steht im Fokus und die Besuchenden fangen an zu verschwinden, unterzutauchen. Wie ein Fisch schwimme ich mit dem Strom und tauche in einem schwach beleuchteten Raum wieder auf, hebe den Blick zur Decke und verliere mich in einem Lichtermeer. Die Kombination von vier cyan-farbenen Laserstrahlern, deren Licht auf Nebel trifft, lässt mich erstarren. Eine Grenzfläche zwischen Wasser und Luft?
Bienenwachsgeruch steigt mir in die Nase und ich suche mir einen Platz, um mich hinzusetzen und das Zusammenspiel von Nebel, Licht und Luftzirkulation zu beobachten. Die hohe Luftfeuchtigkeit lässt sich auf meinen Kleidern nieder. Eine sanfte Grundmusik lässt sich erahnen und verleitet den Menschenschwarm da zu stehen, innehalten, sich auf den Boden zu setzen oder hinzulegen. Tanzen, fotografieren, filmen, zeichnen, schweigen, staunen, durchschreiten… die Besuchenden nehmen den Raum auf ihre eigene Art wahr und versuchen diese Erfahrung zu verinnerlichen. Die Installation Symbiotic Seeing reagiert auf jedes, sich darin befindende, Individuum und macht den Einfluss jedes Einzelnen auf ein erfolgreiches Zusammenleben sichtbar. Schreiten wir weiter in den vierten Raum, wird man mit Tageslicht konfrontiert. Durch rund angeordnete Glaskugeln wird der Raum erhellt und der Menschenschwarm lichtet sich. Hinter dem Algea window versteckt, beobachte ich die gegenüberstehenden Besuchenden. Durch die Glaskugeln ist ihr Abbild auf den Kopf gestellt. Gewollt oder ungewollt findet eine Interaktion mit dem Gegenüber statt. Im letzten, sehr offenen, Ausstellungsraum treffen wir auf ein klassisches Ausstellungsformat. Die Objekte werden von uns umschritten und sind in der Mitte des Raumes angeordnet. Durch die bewegenden und spiegelnden Kunstwerke treten die Objekte mit den Besuchenden in Dialog.
Wir spiegeln uns, als Einzelperson oder auch mit fremden Besuchenden, in ein und demselben Kunstwerk und treten dadurch in Kontakt. Zum Abschluss haben wir die Möglichkeit die Recherchen von Olafur Eliasson und seinem Team zu begutachten und bemerken, dass die Ausstellung von einem Roboter-Cellist bespielt wird. Die Interaktion von Menschen und Technologie wird dadurch auf den Punkt gebracht. Befasst man sich mit Olafur Eliassons Intention, zielt er mit dieser Ausstellung einen grundlegenden Perspektivenwechsel an. Die Koexistenz und die Symbiose von Menschen und anderen Spezies soll kritisch hinterfragt, und zu einer neuen Form des Zusammenlebens angeregt werden.1 Die Ausstellung bot ein Digitorial, mit dem die Besuchenden die Möglichkeit hatten, bei jedem Kunstwerk die Intention des Künstlers nachzuvollziehen. Selbst ohne dieses Tool war die Ausstellung ein spannungsreiches Erlebnis. Jedoch wird aus meiner Sicht, die Koexistenz der Menschen unter sich hervorgehoben und weniger das Zusammenleben mit anderen Spezies thematisiert. Die Ausstellungsobjekte waren nach meinem Empfinden zu sehr auf die menschliche Perspektive angepasst. Es müsste eine andere Perspektive präsentiert werden, um den Gedanken der Dezentralisierung der Menschen zu manifestieren.
1 https://eliasson.kunsthaus.ch
Abb. 1 Raum 1: Zwei Besuchende vor dem Kunstobjekt Weather orb (2020)
Abb. 2 Nebelschwaden die auf Laserlicht treffen, Hauptattraktion: Symbiotic Seeing (2020)
Abb. 3 Besuchende vor dem Algae window (2020)
Abb. 4 Ein Zusammenspiel von 17 Kunstwerken, Interaktion und Dialog mit den anderen
Besuchern entsteht.
Abb. 5 Research wall: Langjährige Auseinandersetzungen zum Thema Umwelt und
menschlichem Zusammenleben werden präsentiert